„Alle Probenmethoden lassen sich mit Schlüsseln vergleichen, mit denen man sozusagen einen Schauspieler, eine Rolle oder ein Stück “öffnen” kann. Sie sind, wie alle Schlüssel, in vielerlei Hinsicht ähnlich, unterscheiden sich aber dennoch in einem entscheidenden kleinen “Zacken” und öffnen daher unterschiedliche Schlösser. Es gibt keinen Universalschlüssel für Shakespeare und Tschechow oder der zur Komödie und Tragödie, zu jedem Schauspieler und zu jedem Theater passt. Es gibt nur eine Aus-nahme – nämlich der Dietrich oder die Axt. Aber ich rate niemandem, Einbruch-Methoden anzuwenden.
Jeder Regisseur/Schauspieler muss mehr als eine Probenmethode beherrschen. Was bei einem Autor oder Schauspieler gut funktioniert, ist bei dem anderen Zeitverschwendung. Daher muss die Regie für eine gute Inszenierung verschiedene Methoden in Reserve haben, genauso wie die Schauspieler für ihre Rollengestaltung. Jede Methode erfordert Zeit und Übung, sie zu erlernen, damit sie in der Probenarbeit kreativ angewendet wenden kann. In diesem Kurs möchte ich fünf Methoden für die Arbeit mit Schauspielern im Detail vorstellen; fünf Schlüssel für den Zugang zu einem Stück oder eine Rolle.
EINS
Die erste Methode wird als “table-stage-table” bezeichnet. Es ist meine Variante der bekannten Methode von K.S. Stanislavsky und Maria Knebel – eine effektive Methode der Analyse durch Handlung. Jeder, der diese Methode in der Praxis ausprobiert, versteht, dass sie kein Dogma, sondern ein Ergebnis lebendiger Forschung ist und deshalb von jedem, der sie anwenden will, eigene Erfahrung und Verständnis verlangt. Ich nenne meine Variante “Tisch-Bühne-Tisch”, um den “Pendel- Charakter“ des Prozesses zu betonen, der zum Kennenlernens der Rolle und des Stücks führt.
ZWEI
Die zweite Methode nenne ich “Methode der Konstellation”, die aus meiner praktischen Rollenarbeit mit Schauspielern hervorgegangen ist. Sie ist komplementär zu einer Methode, die ich als “Light-Touch-Methode” bezeichne, eine Arbeitsweise bei der durch sehr spärliche Impulse, die Kreativität der Schauspieler freigesetzt wird und das Material sich zunächst in alle Himmelsrichtungen öffnet und fragmentiert. Die “Methode der Konstellation” beinhaltet sowohl die Fragmentierung der Rolle und des Stückes als auch deren neue Verbindungen in verschiedensten Konstellationen durch eine Reihe von Übungen. Es ist eine spielerische Art mit Schauspielern zu arbeiten, die sich im wahrsten Sinne raumgreifend auswirkt – im Spielen und Denken.
DREI
Die dritte Methode nennt sich “Storytelling”. Das Erzählen einer Geschichte ist eine unserer ältesten Kulturpraktiken, die etwas in Vergessenheit geraten war. Heute spricht man hingegen allerorts von Narrativen und hat deren Rolle in Erkenntnisprozessen entdeckt. Ursprünglich habe ich das Storytelling im Prozess der Rollenerarbeitung angewendet, habe dann aber erkannt, dass diese Methode auch für Regisseure für die Entwicklung der Szenen sowie einer ganzen Aufführung sehr nützlich ist.
VIER
Nr.4 – die “Big Bang-Methode”. Hinter dieser vielversprechenden Art, mit Schauspielern zu arbeiten, steht die Idee der Urknalltheorie, aus der unsere Zivilisation, unsere Galaxie und das gesamte Universum entstanden sind. Ich dachte also, ich könnte diese kosmologische Methode auch nutzen, um eine Perfor¬mance oder eine Rolle zu kreieren. Ein anderer Name für diesen Ansatz ist “Methode der Explosion”, denn es geht hier im Besonderen um die Akkumulation und Freisetzung künstlerischer Energie.
FÜNF
Und schließlich möchte ich Ihnen noch die fünfte, klassisch anmutende „Methode der Improvisation“ ans Herz legen. Die Improvisation lebt in den „Fesseln der Freiheit“, d.h. sie gewinnt durch präzise Aufgabenstellung und durch professionellen Umgang. Natürlich ziehen sich die Prinzipien und Elemente der Improvisation und freien Komposition durch alle zuvor vorgestellten Methoden. Aber wenn man Improvisation als eigenständigen Schlüssel benutzt, wird man entdecken, wie man durch eine kluge Frage- und Themenstellung eine ganze Aufführung mittels Improvisation konstruieren kann.
Die Methoden überschneiden sich und in vielerlei Hinsicht ergänzen sie einander. Für jede Methode sind in diesem Kurs zwei Tage vorgesehen. Da jedoch Elemente der einen Methode auch in den anderen vorkommen, reicht manchmal vielleicht ein Tag aus, um eine Methode zu erklären, während eine andere mehr Zeit zum Üben benötigt.
Als Grundlage für alle Beispiele und praktische Aufgaben schlage ich das Stück “Drei Schwestern” von Anton Tschechow vor. Wir werden gemeinsam an demselben Stück arbeiten, aber mit unterschied-lichen Schlüsseln. Wir werden sehen, was passiert. Ich würde mich freuen, Sie kennenzulernen und mit Ihnen zu arbeiten.“
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Liebe Kolleg:innen, wir freuen uns sehr, wenn dieses Angebot im Freundes- und Kollegenkreis verbreitet würde. Danke!
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